«Captain, Sir!«Inch kam durch den Qualm auf ihn zu.»Der
Feind dreht ab!«Er deutete aufgeregt hinuber.»Sehen Sie doch, Sir, sie setzen beide mehr Segel!»
Bolitho kletterte in die Besanwanten, seine Glieder waren schwer wie Blei. Aber es stimmte: Beide Schiffe drehten ab und nahmen bei dem achterlichen Wind schnell Fahrt auf. Der Rauch wirbelte hinter ihnen hoch wie aus dem Wasser aufsteigender Dunst.
In einem Streifen Sonnenlicht sah er, da? auch die franzosische Fregatte mit rundgebra?ten Rahen ablief. Ihre durchlocherten und geschwarzten Segel zeugten vom Einsatz der Abdiel.
Er packte ein Glas und richtete es uber das Achterdeck auf die Abdiel, die zogernd durch den Rauchvorhang stie?. Ihre Masten waren alle unversehrt, aber ihr Rumpf war an mehreren Stellen beschadigt.
Bolitho schwenkte mit dem Glas von der kleinen Fregatte ab, und als er uber eine geschwungene, grune Halbinsel hinausblickte, glaubte er einen Augenblick, er habe den Verstand verloren.
Dort kam ein weiteres Schiff um die Landzunge. Seine Segel schimmerten wei? in der Morgensonne, seine hohe Bordwand warf die tanzenden Reflexe der Wellen zuruck, als es majestatisch durch den Wind ging und Kurs auf die Hyperion nahm.
Pelham-Martins Stimme zitterte.»Wer ist das?»
Die Kanoniere der Hyperion verlie?en bereits ihre hei?geschossenen Geschutze, standen auf den Gangways und starrten zu dem stattlichen Neuankommling hinuber. Als dann die Besatzung der Abdiel zu jubeln begann, stimmten die Matrosen der Hyperion so laut ein, da? sogar die Schreie der Verwundeten ubertont wurden.
Bolitho beobachtete das Schiff. Er konnte die lange, dreifarbige Flagge an ihrer Gaffel auswehen sehen, die schmucken, vergoldeten Schnitzereien an der Hutte. Er sagte sich, da? die Hyperion zwar alt war, da? dies aber das alteste Schiff war, das ihm je vor Augen gekommen war.
Langsam antwortete er:»Das ist ein Hollander. «Er setzte das Glas ab und fugte hinzu:»Was befehlen Sie, Sir?»
Pelham-Martin beobachtete das hollandische Schiff, als es noch einmal uber Stag ging und dann gemachlich in Lee hinter der Hyperion vorbeisegelte.
«Befehlen?«Er schien sich zusammenzurei?en.»In den Hafen einlaufen!»
«Signal an Abdiel, Mr. Gascoigne: In die Bucht einlaufen und unverzuglich ankern«, befahl Bolitho. Er ging auf die andere Seite des Achterdecks. Der Jubel hallte ihm in die Ohren, aber sein Kopf war noch benommen von der Nahe des Todes.
Inch sah Midshipman Pascoe an und schuttelte den Kopf.»Merken Sie sich diesen Morgen gut. Was Sie auch spater tun oder erreichen werden, einem Mann wie ihm werden Sie nie wieder begegnen. «Dann trat er an die Reling, um die ubriggebliebenen Toppsgasten zusammenzurufen.
Bolitho horte Inchs Worte nicht, er sah auch nicht den Ausdruck in den Augen des Jungen. Er beobachtete das fremde, veraltete Linienschiff, das wieder uber Stag ging, um sie in die Bucht zu geleiten. Wenn es nicht gekommen ware… Er hielt inne und blickte auf seine Uhr. Einen Augenblick glaubte er, sie ware stehengeblieben, doch nach einem weiteren Blick aufs Zifferblatt schob er sie wieder in die Tasche. Eine Stunde, langer hatte es nicht gedauert. Doch ihm kam es vor, als waren Sie zehnmal so lang im Gefecht gewesen. Er zwang sich, zum Hauptdeck hinunterzublicken, wo der Arzt mit seinen blutbefleckten Helfern die noch nicht betreuten Verwundeten einsammelte. Wie lange mu?te es erst seinen Leuten vorgekommen sein?
Mit einem Seufzer schob er seinen erschopften Korper von der Reling fort und wandte sich der Hutte zu. Er bemerkte den Jungen, der ihn beobachtete, in den Augen tiefe Verwunderung.
«Wie Sie sehen, Mr. Pascoe, kann man des Ausgangs nie sicher sein. «Lachelnd ging er nach achtern, um mit dem Kommodore zu sprechen.
Als er an den Neunpfundern in Luv vorbeikam, traten die Kanoniere grinsend zuruck und winkten ihm. Er spurte das starre Lacheln auf seinen Lippen und lauschte auf die eigene Stimme, die ihren erregten Ausrufen antwortete, wie jemand, der neben sich selbst steht; ein Zuschauer.
Doch als er die Hutte erreicht hatte und sein Schiff in seiner ganzen Lange uberblickte, spurte er noch etwas. Es mochte vom Kampf zernarbt und blutig sein, aber es war unbesiegt. Trotz aller Beschadigungen und Verstummelungen, trotz des schrecklichen Larms und der nervenzerfetzenden Einschlage, war ihm etwas Gutes geschehen.
Es war nicht mehr nur ein Schiff mit zusammengewurfelter Mannschaft. Zum Guten oder Bosen war es eins mit den Menschen geworden, die auf ihm dienten. Als hatte die kurze wilde Schlacht alle zu einer Einheit zusammengeschwei?t, die ein einziges Ziel verfolgten: zu uberleben.
Er sah den Arzt auf sich zukommen und stahlte sich fur das, was vor ihm lag. Menschen waren im Sonnenlicht dieses Morgens gestorben. Wie viele, das wu?te er noch nicht.
Als er zu den zerfetzten Segeln und gesplitterten Spieren aufblickte, empfand er diesen unbekannten Toten gegenuber eine seltsame Dankbarkeit. Seine Aufgabe wurde es sein, dafur zu sorgen, da? ihr Opfer nicht vergeblich gebracht worden war.
VIII Neuigkeiten fur den Kommodore
Der Marinesoldat salutierte stramm, als Bolitho in die Achterkajute trat und die Tur hinter sich schlo?. Alle Fenster waren weit geoffnet, und Decke und Wande waren mit Reflexen des bewegten Wassers drau?en bedeckt. Die Hyperion rollte geruhsam vor Anker, und wenn er durch eines der Heckfenster blickte, sah er die nahe Halbinsel in der hei?en Luft flimmern: grun, friedlich und ein starker Kontrast zu dem Anblick, den er auf dem Oberdeck gerade hinter sich gelassen hatte.
Durch die offene Tur zum Schlafraum horte er Pelham-Martin rufen:»Nun, was haben Sie mir zu melden?»
Bolitho stutzte sich auf den Schreibtisch und starrte mit leerem Blick auf das klare Wasser unterm Heck.»Zwanzig Tote, Sir. Zwanzig weitere schwerverwundet. «Es schien ihm wenig sinnvoll, die anderen zu erwahnen: die mit Fleisch wunden und Verbrennungen, oder jene, die taub geworden waren, vielleicht fur immer.
«Verstehe. «Es war zu horen, wie Kisten uber den Boden der Kajute geschleift wurden, und dann trat Pelham-Martin mit schweren Schritten in die Reflexe des Sonnenlichts.»Was ist mit den Verwundeten? Werden sie sich erholen?»
Bolitho konnte ihn nur stumm anstarren. Die Hyperion hatte vor weniger als drei?ig Minuten Anker geworfen, und wahrend er das Zuwasserlassen der Boote uberwacht und das Ausma? der Schaden am Rumpf und in der Takelage abgeschatzt hatte, hatte sich der
Kommodore anscheinend mit mehr personlichen Problemen befa?t. Er trug seinen Paraderock, und sein wei?es Hemd und seine wei?en Breecheshosen sahen aus, als ob sie gerade vom Schneider gekommen waren.
Schlie?lich sagte Bolitho:»Meist sind es Splitterverletzungen, Sir, aber funf haben Arme oder Hande verloren.»
Pelham-Martin betrachtete ihn ernst.»Nun, ich mu? an Land und den Gouverneur dieser, ah, dieser Siedlung aufsuchen. «Er zupfte die Manschette seines Hemdes unter dem goldbestickten Armel hervor.»Notwendig, aber trotzdem verdammt lastig. «Er sah sich in der Kajute um.»Sie bleiben besser hier und tun das Erforderliche, damit das Schiff wieder einsatzfahig wird. «Er lie? den Blick auf Bolithos zerrissenem Hemd ruhen.»Und ich wurde vorschlagen, da? Sie auch etwas fur Ihr Au?eres tun.»
Bolitho sah ihn kalt an.»Ich war der Ansicht, da? es zunachst Wichtigeres fur mich zu tun gab, Sir.»
Der Kommodore hatte dafur nur ein Achselzucken ubrig.»Diese Haltung fuhrt zu nichts. Sie kannten das ungleiche Krafteverhaltnis, und dennoch haben Sie das Gefecht herausgefordert.»
«Waren wir eine Woche fruher hier gewesen, Sir, ware es gar nicht zu einem Gefecht gekommen, es sei denn, zu unseren Bedingungen.»
Der Kommodore betrachtete sich im Spiegel an der Schottwand.»Mag sein. «Heftig drehte er sich nach Bolitho um.»Es ist uns jedoch gelungen, die Franzosen zu vertreiben, und ich werde dafur sorgen, da? Ihr Anteil daran in meinem Bericht berucksichtigt wird. Doch jetzt mu? ich Sie verlassen. Wenn ich gebraucht werden sollte, schicken Sie ein Boot zur Stadt. «Er ging an ein Heckfenster und beugte sich hinaus.»Ich mu? sagen, es lief nicht alles so, wie ich erwartet hatte.»